Kinder und Jugendliche als Opfer der NS-Euthanasie

Im Sommer 1939 erließ der Reichsinnenminister eine Meldepflicht für „mißgestaltete usw. Neugeborene“, um Säuglinge und Kinder zu erfassen, die als „lebensunwert“ angesehen wurden. Zur Ermordung dieser Kinder initiierte der „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ sogenannte „Kinderfachabteilungen“ unter ärztlicher Leitung. Sie wurden an über 30 Orten, unter anderem in Lüneburg, in Heil- und Pflegeanstalten, Kinderkliniken und Universitätskliniken eingerichtet, um Forschungen zu betreiben und Kinder zu töten.

„Die Auswahl bei den Kindern haben wir selbst getroffen."

Wilhelm Unger, 1948, zit. in Zuflucht unter dem Schatten deiner Flügel?, 1992, S. 12

Die Kinderfach­abteilung Lüneburg

Die Rotenburger Anstalten lösten im Rahmen der Anstaltsräumung am 9. und 10. Oktober 1941 ihre Kinderstation auf. Mit einem ersten Transport gelangten 130 Kinder aus Rotenburg in die neu gegründete „Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg“. Den Kindern wurde dort über einen längeren Zeitraum Luminal verabreicht, das zu Atem- und Herzstillstand führte. Manchmal erhielten sie zusätzlich Morphin, ein Barbiturat, das Atemwegserkrankungen provozierte. Verantwortlich waren Dr. Max Bräuner als ärztlicher Leiter der Heil- und Pfleganstalt sowie der Arzt der Waffen-SS Willy Baumert als Leiter der Kinderfachabteilung. Um die Ermordung zu verschleiern, vermerkte das medizinische Personal auch Todesursachen wie Tuberkulose, Diphtherie oder Magen-Darm-Katarrh. Außerdem starben Kinder an Fehl- und Mangelernährung.

Verlegungen nach Uchtspringe

Am 12. Oktober 1941 wurden 35 Kranke aus Rotenburg in die Heil- und Pflegeanstalt Uchtspringe in der Altmark verlegt. Die Anstalt diente ab 1940 als Zwischenanstalt für die Tötungsanstalten in Bernburg und Brandenburg, im Juni 1941 wurde in Uchtspringe wie in Lüneburg eine Kinderfachabteilung eingerichtet. Bis Mai 1945 starben 19 der 35 von Rotenburg nach dort verlegten Patientinnen und Patienten. In Uchtspringe wurden insgesamt 350 Kinder und Jugendliche sowie 100 Erwachsene mit Medikamenten ermordet.

Rotenburger Kinder in Bethel und Eben-Ezer/Lemgo

99 Kinder aus Rotenburg gelangten nach Bethel bei Bielefeld, 24 in die Anstalt Eben-Ezer bei Lemgo. Beides waren evangelische Einrichtungen der Inneren Mission. Für diese Einrichtungen ausgewählt wurden die als lernfähig und „beschulungsfähig“ angesehenen Kinder. Den nach Bethel und Lemgo verlegten Kindern erging es nachweislich besser als den nach Lüneburg und Uchtspringe deportierten Kindern. Ihre Überlebenschancen waren im Vergleich gut.

Rotenburger Kinder, die im Oktober 1941 in die Heil-und Pflegeanstalt nach Bethel bei Bielefeld gebracht worden waren. Fünf Verbandschwestern begleiteten die nach Bethel verlegten Kinder. Aufnahmen von 1943 (Slg. Klaus Brünjes)

Wie gehts weiter?

Zwangsarbeit in Rotenburg